„Ich bin als jemand, der seit den 70er Jahren in Kiel lebt, gebeten worden, etwas über die Entwicklungen der Wohnraumsituation in Kiel und über Proteste der Mieter zu erzählen.
Meine Eltern sind 1972 nach Kiel-Mettenhof gezogen und ich habe meine Teenagerzeit in dem Stadtteil verbracht, den man „ Manhattanhof“ nannte, denn neue, höhere Gebäude muteten damals als futuristisch, bzw. amerikanisch an. Der „Weiße Reise“ war sozusagen der Wolkenkratzer. Anfang der 80er war ich bei den Hausbesetzungen in der Kieler Innenstadt aktiv mit dabei. Andere Auseinandersetzungen habe ich eher als Außenstehender mitverfolgt und bei vielen lange zurückliegenden Ereignissen sind meine Erinnerungen lückenhaft. Meine Darstellung ist eher persönlich als analytisch. Wenn Lesern hierzu eigene Geschichten einfallen, an meinen Schilderungen etwas korrigieren oder ergänzen wollen, dann ist das willkommen.
Mettenhof
Als wir in Mettenhof eintrafen, war der Stadtteil noch eine große Baustelle. Es war erst etwa die Hälfte der Gebäude fertig. Aus beengten, ärmlichen Verhältnissen in Neumünster kommend, war eine geräumigere Neubauwohnung mit Zentralheizung und Wannenbad ein echter Fortschritt. In Neumünster hatten wir Ofenheizung, nicht einmal eine Dusche und einfachverglaste Fenster, die so verzogen waren, daß stärkerer Wind die Gardinen bewegte. Die Toilette war im Treppenhaus.
Mettenhof ist großteils von dem durch und durch korrupten und kriminellen Wohnungsunternehmen NEUE HEIMAT errichtet worden, das dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gehörte. Die Planung des Stadtteils durch den Gewerkschaftskonzern ließ tief blicken. Er wurde als Schlafstadt für Arbeiter quasi auf der grünen Wiese errichtet, fern der Innenstadt, mit ein paar Einkaufsmöglichkeiten, ohne kulturelle Angebote, so gut wie keine Spielplätze, kein Jugendzentrum, kaum Arbeitsplätze und auch das Bildungszentrum Mettenhof (BZM) wurde erst spät eröffnet.
Es gab noch mehrere Straßenbahnlinien in Kiel (die Abschaffung ist auch nur mit Korruption zu erklären), doch die Linie führte nicht bis nach Mettenhof, sondern endete auf halben Weg am Hasseldieksdammer Weg. In der Nähe der Endstation befand sich ein „Obdachlosenlager“. Es waren Holzbaracken, in denen sozial Gestrandete von der Stadt einquartiert worden sind. Dann entschloß sich die Stadt, diese Leute in Mettenhof unterzubringen in einem begrenzten Gebiet weniger Straßenzüge. Es führte zu einigen Problemen, wie das Eintreten von Wohnungstüren, wenn man mit besoffenem Kopf den Schlüssel nicht fand und zahlreiche Wohnungsbrände. Insgesamt war Mettenhof ein Ghetto der Unterschichten, auch wenn es einen Teil mit Bewohnern des Öffentlichen Dienstes (zumeist Beamte) gab und an den Rändern es mit Reihen- und Einfamilienhäusern ein wenig in Richtung Mittelschicht ging.
Das Klima im Stadtteil war eher rauh. Die Mieterzeitung Zeitung für Mettenhof war spießig bis reaktionär. Man regte sich da über auf dem Balkon zum Trocknen aufgehängte Wäsche auf, was ja aussähe wie in den Mittelmeerländern. Schreck lass nach! Schimpfende Hausmeister verjagten spielende Kinder von den Rasenflächen. Familienväter wuschen ihre Autos, die neuen Statussymbole der Arbeiter, an jedem Wochenende. Ein Hauch modernen Denkens zog mit dem Abenteuerspielplatz in den Stadtteil. Dort konnten Jugendliche sich handwerklich ausprobieren und mit bereitgestelltem Werkzeug, Holz und Nägeln Hütten bauen. Dort hingen auch die Mofarocker ab. Die Nachbarn beschwerten sich ständig über den Lärm der frisierten Mopeds. Die Hütten der Jugendlichen wurden oft abgefackelt.
Olympiazentrum Schilksee
Kiel war bereits 1936 Austragungsort der Segelolympiade und 1972 war man wieder dabei. Es waren Zeiten des Wirtschaftswachstums und Öffentliche Gelder saßen da locker und die Bauindustrie wußte sich da zu bedienen. Was in Schilksee gebaut wurde, spottete jeder Beschreibung. Die Architektur war nicht nur optisch eine Katastrophe, die Gebäude wiesen rekordverdächtige Mengen an Baumängeln auf. Bei der Planung des Olympiazentrums hatte man sogar die öffentlichen Toiletten vergessen. Man designte auf die Schnelle Containerklos im Olympialook und stellte sie auf die Uferpromenade.
Als man die Welt in dem Kaff Kiel erwartete, war die Autobahn bis Kiel noch nicht lange fertiggestellt. Das hohe kaufmännische Gebäude der Berufschule am Westring war das höchste sichtbare Gebäude bei der Einfahrt in die Landeshauptstadt und es wurde dem Hausmeister aufgetragen in allen Klassenräumen nachts das Licht anzulassen, damit die Stadt ein wenig großstädtisch wirkt.
Nach dem großen Spektakel war es wohl möglich, Wohnungen in den unansehnlichen Betonklötzen in Schilksee zu vermieten und zu verkaufen, denn durch den Yachthafen und den Strand besaß die Gegend eine gewisse Attraktivität. Das Sportlerdorf, eine Gartenanlage mit winzigen Pavillons bot man dann für relativ kleines Geld als Studentenwohnraum an, denn Studenten hatten wenig Interesse, so weit ab vom Schuß zu wohnen.
Innenstadt
Ich habe erst später erfahren, daß Kiel bereits nach Kriegsende als Spielwiese für Stadtplaner auserkoren worden ist. Die Alliierten wählten auf der Europakarte einige von den Bombardements des Zweiten Weltkriegs schwer zerstörte Städte aus, auf denen man neue Konzepte des Städtebaus ausprobieren wollte. Es waren wohl die Partnerstädte Kiel, Brest (F) und Coventry (UK). Kiel wurde zum Labor deutscher Stadtplaner. Die neuen Konzepte galten natürlich nicht den Interessen der Mieter, sondern denen der Wirtschaft. Alles hatte sich unterzuordnen dem ungehinderten Fluss des Straßenverkehrs und der Konsumentenströme. Man dachte groß. Gebäude und Menschen hatten zu verschwinden, wenn sie den Wirtschaftsinteressen im Weg standen. Mit der Holstenstraße erhielt Kiel die erste autofreie Einkaufsmeile der Bundesrepublik. Bei der Einweihung des Westrings zog an der Spitze der Prozession eine Gruppe von Universitätsprofessoren in ihren Talaren. Es fehlten nur noch weihrauchschwenkende Pfaffen bei der Eröffnung der Trasse für die heilige Kuh der Deutschen, dem Auto.
Kiel war ja schonmal das Produkt einer städtischen Planung von Oben. Als die Stadt 1871 zum Kriegshafen auserkoren wurde, explodierte sie förmlich (von 32.000 Einwohnern auf 250.000), es gab massive Bautätigkeiten, um die zureisenden Menschen unterbringen zu können. Gegenüber dem Hauptbahnhof, am Sophienblatt, errichtete man Prachtbauten als Visitenkarte der aufstrebenden Hafenstadt. Die Gebäude wurden im klassizistischen-, aber auch im Jugendstil errichtet, enthielten im unteren Bereich Läden, die hinteren Gebäude beherbergten Gewerbeflächen für Handwerksbetriebe und einfachere Wohnungen, im vorderen Bereich sollte das wohlhabende Bürgertum wohnen, große lichtdurchflutete Wohnungen, Parkettfußboden und moderne innenarchitektonische Ideen sollten den Bewohnern das Leben angenehm machen. In dieser Reihe wurde auch das Taulow-Museum errichtet, als das erste Schleswig-Holsteinische Landesmuseum, als Zeichen der Kulturbeflissenheit des Bürgertums. Man ließ sich da nicht lumpen.
Im zweiten Weltkrieg gab es einige Bombentreffer und ein paar Gebäude wurden beschädigt oder ganz zerstört, doch der Großteil der Prachtbauten überlebte in einem guten Zustand. Aber dann kamen besagte Stadtplaner. Sie hatten großes vor und zerstörten mehr, als alle Bombenangriffe der Britischen Air Force. Man träumte von einer großzügigen Zone für den Konsum vom Dreiecksplatz bis zum Sophienblatt, vorbei an der Gablenzbrücke bis hin zum Rondeel. Nicht lange nach Kriegsende teilte die Stadt Kiel den Eigentümern der Gebäude mit, daß sie sich nicht um größere Reparaturen, Sanierung oder Investitionen bemühen sollten, denn die Gebäude kämen ja eh weg. So blieben Reste von weggebombten Fassaden stehen und dahinter baute man provisorische Dächer mit Dachpappe über die weiter genutzten Läden. Schon in den 50ern machte man die Holstenstraße zu einer Einkaufsstraße, doch am Sophienblatt tat sich nicht so viel. Anfang der 70er riß man kurzerhand das Taulowmuseum ab (ein Teil war im Krieg zerstört worden, ein beachtlicher Gebäukomplex war aber noch erhalten), um Platz für einen Kaufhausneubau zu machen. Das neue Hertiegebäude war ein gesichtsloser grauer Betonklotz. Bis Ende der 70er Jahre hat sich jedoch das gesellschaftliche Klima geändert, es kamen vermehrt Zweifel an dem „Fortschritt“, wie er den Menschen verkauft wurde, auf, man hatte mehr Interesse an bezahlbarem Wohnraum als an immer neuen Flächen für Shoppen, und man begann den Wert historischer Architektur wieder zu schätzen. Auch in der Verkehrspolitik begannen sich neue Ideen durchzusetzen. Die oberste Priorität für den Individualverkehr wurde mehr und mehr angezweifelt. Doch die Stadt Kiel ließ sich nicht von ihren wahnwitzigen Vorstellung der Stadtplanung abbringen. Die Pläne für das SAS1, dem „Sanierungsgebiet“ rund um das Sophienblatt, sollten auf Biegen und Brechen durchgezogen werden. Daran entzündete sich dann der Kieler „Häuserkampf“, eine mehrjährige Auseinandersetzung mit der Stadt mit Hausbesetzungen und Demonstrationen.
(Fortsetzung gibt es hier.)