Mietwucher in Kiel

„GAARDEN – Kapitalistische Sanierung beginnt dieses Jahr“

Mit dieser Überschrift beginnt ein Artikel in der Kommunistischen Volkszeitung vom Juli 1974. Dahinter steckte der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW). Man muss nicht allzu viel von den K-Gruppen der 70er Jahre halten, als historische Quelle für eine kritische Sichtweise auf eine Stadtteilsanierung ist dieser Artikel aber durchaus interessant und auch irgendwie zeitlos:

In den nächsten Monaten verabschiedet die Ratsversammlung die Sanierungspläne. Mit dem Abriß wird bereits im Herbst begonnen.

UMFASSENDE ERNEUERUNG DRINGEND NOTWENDIG

Gaarden soll also saniert werden. Jeder der in Gaarden wohnt, weiß, daß ein Sanierung lange notwendig ist:

  • Ein Großteil der Wohnungen entspricht nicht mehr zeitgemäßen Ansprüchen. Häufig fehlen Bad und Zentralheizung, zahlreiche Häuser sind in schlechtem baulichen Zustand.
  • Oft sind die Wohnungen zu klein und eignen sich nicht für Familien mit Kindern.
  • Es fehlt an geeigneten Altenwohnungen, verbunden mit ausreichender Betreuung für gebrechliche Mitbürger könnten sie der Isolierung der Altersheime entgegenwirken.
  • Gaarden braucht mehr schulische Einrichtungen, vor allem Vorschulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung.
  • Es fehlt ein Freizeitzentrum, in dem Vereine tagen können, kulturelle Veranstaltungen stattfinden und man seinem Hobby nachgehen kann: Ein Zentrum, das genügend Platz für Bürgerversammlungen und andere größere Zusammenkünfte bietet.
  • Vor allem für die Jugend gibt es kaum Alternativen zum profitorientierten Freizeitvertreib.

SANIERUNG FÜR WEN?

Daran aber wollen die „Volks“vertreter in der Stadtverwaltung nichts wissen. Sie wollen aus Gaarden ein sogenanntes „Kerngebiet“ machen. Nach der „Baunutzungsverordnung“ dienen Kerngebiete vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben, sowie den zentralen Einrichtungen von Wirtschaft und Verwaltung. Ein Büro- und Geschäftszentrum für die Kapitalisten also.

Zuerst wird die Gegend Johannesstraße/Karlstal betroffen (Sanierungsgebiet I). Geplant sind: ein Kaufhaus, Parkhaus, Luxus-Bürohotel für HDW-Geschäftsfreunde, Wohnungen höchstens (!) 250 für Betriebsleiter und Betriebsinhaber und (in den oberen Stockwerken) für Normal(?)-bürger mit „gehobenen Ansprüchen“.

Gaarden hatte bisher gegenüber anderen Stadtteilen gewisse Vorzüge.

  • Hier gibt es heute noch verhältnismäßig preisgünstige Wohnungen.
  • Viele Gaardener wohnen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes (z.B. der HDW).
  • Viele Einwohner sind bereits hier geboren und leben z.T. seit Jahrzehnten in Gaarden; das führt zu engen Nachbarschaftsbeziehungen und zur Solidarität untereinander. Ältere Menschen wohnen in der Nähe ihrer langjährigen Bekannten und jüngeren Verwandten.
  • Es ist ein gewachsener Stadtteil mit z.T. wohnlicher Stadtstruktur und traditionellen Begegnungsstätten (Vinetamarkt, Vereine, Stammkneipen usw.)

Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll das jetzt anders werden. Wie in vielen anderen Städten soll es wieder genauso laufen wie vor hundert Jahren in den „düsteren Zeiten des Frühkapitalismus“. Das Kapital ballt sich in den Zentren der Städte und vertreibt den Arbeiter und kleinen Bürger an den Stadtrand.

Die kapitalistische Mißwirtschaft arbeitet nach den heutigen Gesetzen des Marktes. Immer mehr Kapitalisten wollen die große Zahl von Käufern in den Innenstädten ausnutzen. So entstehen die „Cities“ als Städte in den Städten. Hat sich ein solches Büro- und Geschäftszentrum einmal eingerichtet, frißt es sich wie ein Krebsgeschwür in die umliegenden Wohngegenden: Die Profitmacher werden angezogen wie die Motten vom Licht. Steigende Nachfrage nach den Nachbargrundstücken und steigende Bodenpreise erhöhen die Mieten, Hausbesitzer lassen ihre Wohnungen mutwillig verfallen, die Mieter werden zum Auszug gezwungen. Gleichzeitig steigt mit dem höheren Mietpreis für Büro- und Geschäftsgebäude im ganzen Stadtteil die „Durchschnittsmiete“, an der sich die Mieten dem Gesetz nach orientieren.

DER SANIERUNGSBEIRAT – DEMOKRATISCHES FEIGENBLATT DER STADTVERWALTUNG

Kein Wunder, daß die von der Stadt gewährte „demokratische Mitbestimmung des Bürgers an der Sanierungsplanung“ eine scheindemokratische Schmierenkomödie war. Der Sanierungsbeirat, dessen Mitglieder bei der ersten Wahl nur zu einem Drittel direkt gewählt wurden, hat nichts zu sagen oder zu entscheiden und darf sich nur informieren, und nicht einmal das: Die Sanierungspläne bekam er ein halbes Jahr nach der Wahl, am 25.11. erstmalig zu Gesicht. Die Sache mit dem Kerngebiet äußerte ein Stadtvertreter zufällig auf der Bürgerversammlung im Januar. Die Zusammensetzung des Beirats aus Vertretern bürgerlicher Parteien (vor allem SPD) besorgte den Rest:

  • zu erfahren, was die Gaardener wollen, hat man sich nie bemüht
  • auf den öffentlchen Sitzungen anwesenden Bürgern wurde die Redenszeit willkürlich beschnitten und vor dem Stadtbaurat geliebdienert
  • die Einschränkung der satzungsgemäßen Rechte durch die Stadt wurde hingenommen.

Wen wundert es da, daß diese sauberen Interessenvertreter den kapitalistischen Sanierungsplänen mit einigen unwesentlichen Abänderungen schließlich zustimmten.

WAS TUN?

Für eine Stadtsanierung im Interesse der breiten Bevölkerung und gegen eine Sanierung im Interesse des Geschäfts arbeitet seit eineinhalb Jahren die „Gaardener Bürgerinitiative Stadtsanierung (GBS)“.

Auf Flugblättern, an Informationsständen, in Hausbesuchen und (Theater)-veranstaltungen informiert die GBS zur Sanierung, zur Wohnsituation der Ausländer usw.

Der Berüchtigte Hausbesitzer und -verwalter Bresse zahlte Maklergebühren zurück, als die GBS einen Sammelprozeß gegen ihn einleitete. Zur Zeit läuft eine breitangelegte Unterschriftenaktion für die Forderungen der Bevölkerung zur Sanierung. Hiermit soll ein gewisser Druck auf die Ratsversammlung ausgeübt werden, zumindest aber wird den einzelnen klar, daß er mit seinen Wünschen und Forderungen nicht alleine steht.

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