Mietwucher in Kiel

Wohnen und Proteste (2)

„Ich bin als jemand, der seit den 70er Jahren in Kiel lebt, gebeten worden, etwas über die Entwicklungen der Wohnraumsituation in Kiel und über Proteste der Mieter zu erzählen.

Den ersten Teil gibt es hier.

Wohnen für junge Leute in den 70er und 80er Jahren

In der Kieler Innenstadt wurde der Wohnraum zunehmend ausgedünnt und mußte den Flächen des Kommerzes weichen. Die Mieten waren für junge Leute und Arbeiterfamilien bereits ein Problem, mögen sie im Rückblick auch als spottbillig erscheinen. Es kamen nur Altbauwohnungen preislich in Frage. Wohnen in Mettenhof kam jenen Menschen nicht in den Sinn, denn außer zu wohnen gab es da nichts, kein Kino oder sonstiges Kulturangebot, keine Kneipenkultur, nichts als Wohnraum, Shoppingcenter und Parkplätze. Also versuchte man in die Innenstadt zu ziehen.

Als ich bei meinen Eltern in Mettenhof auszog, hatte ich eine Einzimmerwohnung am Rande der Innenstadt, Richtung Hassee, gefunden. Ofenheizung, wackelige einfachverglaste Fenster, keine Dusche, Klo halbe Treppe. Der Vermieter wohnte direkt unter mir. Ich hatte ihn oft mit hochrotem Kopf und brüllend an meiner Tür, weil ich zu laut Musik hörte.

So etwas war damals relativ normal. Mein großer Bruder fand seinerzeit mit seiner Freundin keine Wohnung, weil Vermieter den Zustand einer „wilden Ehe“ nicht duldeten. Der Kuppelei-Paragraph hatte  in Deutschland bis 1973 Bestand. Der §180 StGB hatte folgenden Wortlaut: „Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden.“ 

Es war strafbar, Menschen unterschiedlichen Geschlechts ein Zimmer zu überlassen. Mein Bruder fand erst eine Wohnung, als er log, es handle sich um seine „Verlobte“. In den 70er Jahren hatten junge Leute vermehrt das Bedürfnis, außerhalb traditioneller Familienstrukturen zu leben. Wohngemeinschaften waren beliebt, doch in Kiel kaum möglich. So einen neumodischen Kram wollten die Vermieter einfach nicht dulden.

Vermieter sahen sich als Hüter von Recht, Ordnung und Moral. Hausmeister traten gern als deren langer Arm mit Blockwartmentalität auf. Spielende Kinder wurden wie lästiges Ungeziefer behandelt. Vermieter sahen nicht nur die Gebäude als ihr Eigentum, sondern auch die Mieter, zumindest aber als ihre Untergebenen. Mein Vater mußte erst den Türgriff an der Wohnungstür in der alten Wohnung in Neumünster abbauen und durch einen Türknauf ersetzen, damit die Vermieterin nicht ständig, ohne zu klingeln, in der Küche steht, um sich eine Tasse Mehl oder Zucker zu borgen. Mein Vermieter erklärte mir auch, ich sollte mein Rad auch nicht vor dem Haus abschließen, weil es ja „wie bei den Kanaken“ aussehen würde. Respekt vor der Wohnung und Privatsphäre gab es kaum. Veränderungen wie der Einbau neuer Fenster oder einer Zentralheizung wurden nicht abgesprochen, sondern mitgeteilt. Wenn ich meine Wohnungstür nicht von innen abgesperrt habe, konnte man hereinkommen. Mein Vermieter hatte ansonsten einen Zweitschlüssel. So kam ich eines Tages von der Arbeit und fand meine Küche als Trümmerfeld vor. Das alte Keramikwaschbecken lag zerkloppt in der Ecke und war durch ein Edelstahlspülbecken mit Untertisch ersetzt. Mein Vermieter hatte das Teil auf dem Sperrmüll gefunden und dachte, ich würde mich über diesen Fortschritt freuen. Er hielt es nicht für nötig, mich im Vorfeld über seine Pläne zu informieren. Bei einer Party hatte ich Musiker einer britischen Band zu Gast. Als mein Vermieter sich wieder über den Lärm beschweren wollte und ich sein erstes Klingeln nicht gehört hatte, stand er bei mir im Wohnzimmer und brüllte herum. Als der die beiden farbigen Sänger erspähte, verschlug es ihm erst die Sprache, dann stieß er noch ein paar rassistische Beleidigungen aus und verschwand noch stammelnd. Neger in seinem Haus, das war zuviel für seine Nerven.

Wir können froh sein, daß sich das gesellschaftliche Klima geändert hat und dieser Vermietertypus selten geworden ist. Heutzutage sind Vermieter vorzugsweise neoliberale Wohnungsbaugesellschaften, denen Leben und Moralvorstellung der Mieter scheißegal sind. Ihnen geht es allein um die Kohle. Hausmeisterdienste werden eher von bocklosen Angestellten gemacht, die froh sind, wenn sie in Ruhe gelassen werden.  Ansprechpartner bei Problemen, findet man immer weniger. Die für diesen Fall angegebenen Telefonnummern führen oftmals in Callcenter, die irgendwo in Ostdeutschland angesiedelt sind, vielleicht auch in Polen. Die Leute da haben jedenfalls keinen blassen Schimmer von der Situation vor Ort und das Telefonat mit ihnen ist sinnlos und bleibt folgenlos. Wir haben es als Mieter mit einer völlig anderen Situation zu tun als vor Jahrzehnten, aber es ist auch heute unerträglich.

Aubrook

Der Aubrook ist in Kiel ist heute als alternatives Wohnprojekt bekannt, eine Art Mini-Christiania mit Leben in Hütten und Bauwagen in der Natur. Erwähnenswert ist auch ein  ausgebauter alter Wagon als gemütlicher Treffpunkt, wie auch die gelegentlichen Kulturevents und das Musikfestival auf dem Gelände. Heute ist es ein Freiraum mit einer wackeligen Duldung der Stadt. 

Begonnen hat das Projekt wohl als normale Kleingartenkolonie neben der Autobahn. Ein paar Hippies betrachteten den Garten jedoch nicht als Wochenend- oder Feierabendvergnügen, sondern der Garten wurde ihr Lebensmittelpunkt. In Kleingärten ist es grundsätzlich nicht erlaubt in den Lauben zu wohnen, doch wo kein Kläger, da kein Richter. Da es dort recht lax handhabt wurde, kamen dann auch Bauwagen hinzu, die man zu kleinem Wohnungen ausbaute. Das passierte in der 2. Hälfte der 70er Jahre. Man folgte romantischen Vorstellungen vom Leben in der Natur mit Lagerfeuer, Hund und Plumpsklo. Einigen war das Leben in einer Wohnung in der Stadt zuwider, anderen einfach nur zu teuer.

Die ganze Sache stand stets auf der Kippe. Legal war es nicht, andererseits machte die Stadt keine ernsten Anstalten, die Bewohner gewaltsam entfernen zu lassen. Man beließ es bei gelegentlichen Razzien wegen Cannabispflanzen. Die Drohung einer Räumung schwebte stets über dem Wohnprojekt, mal mehr, mal weniger. Die Bewohner machten gelegentliche Aktionen und es gab Unterstützer bis ins bürgerliche Lager, die sich für den Erhalt eines Freiraums für alternatives Leben einsetzten. Die Hippies waren ab vom Schuß, störten nicht wirklich, waren in der Stadt nicht sichtbar und viel zu individualistisch, um sich zu organisieren. Sie suchten nicht den Konflikt mit der Stadt und wollten nur in Ruhe gelassen werden. Gleichzeitig hatten sie gute Fürsprecher und Unterstützer, die fruchtbare Verhandlungen mit der Stadt ermöglichten. Arbeits- und Sozialamt hatten Unlängst Aubrook 100 als Meldeadresse akzeptiert. Letztendlich entschied sich die Stadt, sich mit dem Feigenblatt eines geduldeten Raums für alternative Wohnformen zu schmücken, da die  Bewohner keine politische Bedrohung darstellten und das Gelände keinen Bebauungsplänen im Wege stand. Die Stadt legte eine Wasserleitung in das Gelände und baute Gemeinschaftsklos für die Aubrookbewohner. Einem Großteil der Kieler dürfte dieses Biotop alternativen Wohnens nicht bekannt sein.

(wird fortgesetzt)

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